Leitmotiv der Wirtschaftsethik
Von Prälat Prof. Dr. Friedrich Janssen,
Geistlicher Beirat des KKV- Bundesverbandes
Im Zentrum der Katholischen
Soziallehre und als deren Richtmaß steht das christliche Verständnis vom Menschen
und seiner Würde und Rechte. Als Geschöpf Gottes ist der Mensch ein Individuum,
eine nicht dividierbare, einmalige Existenz mit einer unveräußerlichen Würde.
Darüber hinaus ist er ein Sozio-Individuum, ein Gemeinschaftswesen. Als ein
vernunft- und freiheitsbegabtes Wesen soll der Mensch am Auf- und Ausbau der
Schöpfung mitwirken. Aus diesen anthropologischen Prämissen kristallisieren
sich drei Elemente, die die Prinzipien der Katholischen Soziallehre bilden:
Personalität, Solidarität und Subsidiarität. Nach Oswald von Nell-Breuning, dem
Nestor der Katholischen Soziallehre, lässt sich mit diesen drei Prinzipien die
Quintessenz auf einen Fingernagel schreiben. Das christliche Menschenbild
durchzieht wie ein Leitfaden die gesamte kirchliche Sozialbotschaft, angefangen
von Rerum novarum bis Centesimus annus. „Rerum novarum“ (Die neue Lage) Leos
XIII. ist die Antwort auf das kollektivistische, marxistische Menschenbild
ebenso wie auf den Wirtschaftsliberalismus und Manchester-Kapitalismus,
postuliert Freiheit und Lohngerechtigkeit, Recht auf Privateigentum,
Koalitionsrecht der Arbeiter. Nicht Caritas, Mildtätigkeit, sondern staatliche
Sozialpolitik werden gefordert. „Quadragesimo anno“ Pius XI. Drängt auf
Gesellschaftsreformen, Solidarität und Subsidiarität. „Mater et magistra“
(Mutter und Lehrmeisterin) Johannes XIII. bejaht den Prozess der
Vergesellschaftung, den zivilisatorischen und technischen Fortschritt, fordert
uneingeschränkte Mitbestimmung und Beteiligung der Arbeitnehmer am
Produktionsvermögen. „Populorum progressio“ (Fortschritt der Völker) Pauls VI.
verlangt eine globale Entwicklungspolitik als Voraussetzung für einen
weltweiten sozialen Frieden. „Redemptor hominis“ (Erlöser des
Menschengeschlechts), „Sollicitudo rei socialis“ (Die Sorge um die soziale
Sache) und „Centesimus annus“ (Das 100. Jahr nach Rerum novarum) Johannes Pauls
II. rücken noch stärker den Menschen ins Zentrum der sozialtheologischen
Reflexionen, insbesondere die Würde der menschlichen Person, die elementaren
Menschenrechte, die Gleichwertigkeit von Kapital und Arbeit (ja sogar eine
gewisse Priorität der Arbeit gegenüber dem Kapital) sowie die Notwendigkeit
humaner Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die Enzyklika warnt vor einer radikalen
Kapitalismusideologie: „Die marxistische Lösung ist gescheitert, aber in der
Welt bestehen nach wie vor Formen der Ausgrenzung und Ausbeutung (…), Massen
von Menschen leben immer noch in Situationen großen materiellen und moralischen
Elends (…). Es besteht die Gefahr, dass sich eine radikale kapitalistische Idee
breit macht, die die Lösung der Probleme in einem blinden Glauben der freien
Entfaltung der Marktkräfte überlässt“ (CA 442).
Nicht
minder rückt das Zweite Vatikanische Konzil den Menschen in den Mittelpunkt des
Wirtschaftslebens: „Auch im Wirtschaftsleben sind die Würde der menschlichen
Person und ihre ungeschmälerte Berufung wie auch das Wohl der gesamten
Gesellschaft zu achten und zu fördern, ist doch der Mensch Urheber, Mittelpunkt
und Ziel aller Wirtschaft“ (Gaudium et spes 63). Daraus folgt, dass „der
wirtschaftliche Fortschritt niemals der Herrschaft des Menschen entgleiten
darf; ebenso wenig darf er der ausschließlichen Bestimmung durch wenige mit
übergroßer wirtschaftlicher Macht ausgestatteten Einzelmenschen oder Gruppen,
noch auch durch den Staat, noch durch einige übermächtige Nationen ausgeliefert
sein“ (Gaudium et spes 65). Diese Aussage des Konzils ist von hoch aktueller
Brisanz angesichts einer wachsenden Globalisierung und weltweiten Fusionierung
von Großkonzernen, die eine ökonomische Monopolisierung zur Folge haben. Auch
der Mittelstand leidet vielfach unter der Gefahr, zwischen die Mühlsteine der
Makrowirtschaft und Großindustrie zu geraten. Hier ist eine Rückbesinnung auf
die vom christlichen Menschenbild geprägte Wirtschaftsethik geboten, die nicht vom Credo des
ökonomischen Fortschritts lebt, sondern vom Menschen, dem die Wirtschaft zu
dienen hat.